Le Chajim - Bericht zur jüdischen Kulturwoche 2020

Kunst und Kultur Jüdische Woche 2020 Klezmerband Mesinke
Bildrechte Klezmerband Mesinke

"Le Chajim" - Bericht zur jüdischen Kulturwoche 2020

Die alljährliche jüdische Kulturwoche „Le Chajim“ – „auf das Leben“ – fand in Rothenburg nun schon zum zehnten Mal statt. Wegen Corona ging sie mit einem abgespeckten Programm und eingeschränkten Teilnehmendenzahlen gerade noch rechtzeitig vor dem Lockdown im November über die Bühne.

Das Ziel dieser Woche besteht darin, die „Steinsituation“zu lockern, denn in Rothenburg gibt es seit dem 22. Oktober 1938 nicht mehr die Möglichkeit, mit jüdischen Glaubensgeschwistern Tür an Tür zu wohnen, sondern es gibt nur berühmte alte Steine, die an die vergangene Zeit erinnern. Aber diese Steine haben es in sich: Grabsteine, eine Mikwe, einige jüdische Häuser in der Judengasse und seit einigen Jahren auch „Stolpersteine“.

Den Start in die diesjährige Woche machte die Klezmergruppe „Mesinke“, die seit Jahren einen sehr guten Kontakt zum Rothenburger Publikum hat. Diesmal hatten die Musiker nicht „Klezmertanz“ im Gepäck wie ursprünglich geplant, sondern „The Best of Klezmer“: Traditionals, mit denen sie das Publikum in die frühere Welt des Schtetls entführten, als auch moderne Stücke.

Ein Vortrag des bekannten fränkischen Schriftstellers Leonhard F. Seidl informierte, wie „Framing“ zustande kommt. Immer wieder fließen Wörter in die Alltagssprache ein, mit denen ein Verständnisrahmen konstruiert wird. In der Sprache der Rechtsextremen werde z.B. Bedrohungsszenarien über Flüchtlinge mit entmenschlichenden Wörtern errichtet, die an Naturkatastrophen erinnern, z.B. die Flüchtlingswelle, der Flüchtlingstsunami. Durch dieses Vokabular werden die Schicksale einzelner Flüchtlinge nicht mehr wahrgenommen. Oder es werden abgrenzende Denkformen benutzt wie „wir und die anderen“. Oder man stellt die eigene Gruppe als Opfer dar, z.B. dass man bestimmte Dinge nicht mehr sagen dürfe. Dabei wählt man Worte, die uneindeutig sind, so dass man sie wieder zurücknehmen kann, wenn eine Debatte der Entrüstung aufgebrochen ist. Seidel ging auch auf hebräische Wörter in der Alltagssprache ein, die entweder von Jüdinnen und Juden in derselben Bedeutung verwendet werden wie „meschugge“, „tacheless“ oder „Schlamassel“ oder Wörtern, mit denen Juden eher ein negativer Anklang beigelegt wird, wie „mischpoke“ oder „mauscheln“. Seidl empfahl, diese Wörter nicht zu verwenden und Framingversuche zu thematisieren oder humorvoll zu reagieren.

Der Film „Intrige“ stellte auf spannende Weise vor, wie am Ende des 19. Jahrhunderts die Affäre Dreyfus die französische Republik zehn Jahre lang erschütterte. Man warf einem jüdischen Oberst Landesverrat vor und wollte seine Unschuld nicht sehen. Nur einigen wenigen Mutigen gelang es, das antisemitische Lügenkonstrukt aufzudecken.

Ein besonderes Highlight waren die Führungen von Architekt Ed Knoll in der Judengasse 10. Dort hatte man im Keller eines ehemals jüdischen Hauses vor Jahren eine Mikwe entdeckt. Nach neueren Untersuchungen reichen die Ursprünge des Ritualbads bis ins Jahr 1409 zurück, womit die Mikwe wohl eine der ältesten in Bayern ist. Der Verein „Kulturerbe Bayern“ saniert derzeit das Haus mit Spendengeldern.

Die Filmautorin Sybille Krafft stellte in ihrem Filmprojekt „Leben in einem Denkmal“ vor, wie die Besitzerinnen und Besitzer früherer Synagogen das Gebäude beispielsweise zu einem Wohnhaus umgebaut haben. Sie wohnen jetzt darin mit Respekt vor dem früheren Gebrauch. Beim Filmabend anwesend war Familie Hüßner, die die Synagoge von Wiesenbronn seit 2015 als Wohnung nutzt. Beim Umbau fand man sogar die Reste einer Genizah mit einem Kalender aus dem Jahr 1749, ein handgeschriebenes jiddisch-deutsches Wörterbuch und eine Mesusa-Rolle.

Kunst und Kultur Jüdische Woche Beschneidungsszene Christi in St. Jakob Rothenburg
Bildrechte Oliver Gussmann

Abschließend stellte Pfarrer Dr. Oliver Gußmann in der St.-Jakobs-Kirche Juden und jüdische Motive im Spiegel mittelalterlicher Kunst vor. Hinweise auf Jüdisches in christlichen Kirchen kann man oftmals in hebräischen oder hebraisierenden Buchstaben sehen, z.B. den Gottesnamen, den Kreuzestitulus oder die Gebotstafeln Mose, aber auch in anderen Bildern zur Bibel wie in einer Beschneidungsszene auf dem Herlin-Altar aus dem  Jahr 1466. Erklärt wurde auch die Herkunft des Judenhutes, die angeblich jüdische Hakennase, das Schandbild der Judensau und das Ecclesia-Synagoga-Motiv, die sich bei anderen Kirchen befinden. Zum Schluss wurde die Notwendigkeit herausgearbeitet, dass es viel mehr gegenwärtige Kunst mit positiven jüdisch-christlichen Anknüpfungen statt bildreicher Abgrenzungn geben müsse.

Für das kommende Jahr freut sich das Team mit Oliver Gußmann, Hannelore Hochbauer, Lothar Schmidt, Brigitte Wagner und Elke Wedel, wieder ein spannnende Woche im Rahmen des Jahresthemas „1700 Jahre Juden und Jüdinnen in Deutschland“ vorzubereiten.

Dr. Oliver Gußmann